Die Stufe der Toxizität (duxing) Teil 3/3 (enthält auch Punkt 4 und 5)
Der Begriff der Toxizität ist in China ein völlig anderer als bei uns im Westen. Dieser aus der chinesischen Pharmakologie entnommene Begriff lässt sich nicht einfach in unser naturwissenschaftliches Denken übertragen. Die Chinesen verstehen es, durch verschiedene Arten der Präparierung aus giftigen Rohdrogen ein nebenwirkungsarmes Kraut zu machen. Eine bekannte Methode ist das Rösten mit Ingwersaft.
Tipp: Falls man einen Tee, der viele bittere Kräuter enthält, vom Magen her nicht gut verträgt, sollte man vorher eine Ingwerwurzel kauen!
Wie bei den chinesischen Kräutern, gibt es auch bei uns giftige Kräuter, die daher nur von erfahrenen Therapeuten verwendet werden sollten.
Die vier Wirkrichtungen (sheng jiang fu chen)
Es werden vier Wirkrichtungen beschrieben:
- aufsteigend – sheng
- fallend – jiang
- zerstreuend – fu
- zusammenziehend – chen
In der Chinesischen Medizin geht man davon aus, dass alles einem Umwandlungsprozess unterliegt. Diese Vorstellung findet man im System des Yin-Yang, aber auch im System der Fünf Elemente. So werden die Phasen aufsteigend, zerstreuend, fallend und zusammenziehend durchlaufen.
Aufsteigend bedeutet nach oben gerichtet und entspricht der Holzphase im Frühjahr. Dies könnte man sich wie eine Pflanze vorstellen, die im Frühjahr zu wachsen beginnt. Aufsteigende Kräuter heben das Yang und das Qi, lösen Nausea (Brechreiz) aus und erwecken aus einer Ohnmacht. Anwendungsbeispiele wären Diarrhoe (Durchfall), Uterusprolaps (Gebärmuttervorfall, Gebärmuttersenkung), Gastroptose (Magensenkung) und Vertigo (Drehschwindel).
Zerstreuend deutet neben der nach oben gerichteten Bewegung auf eine nach außen gerichtete Bewegung hin und entspricht der Feuerphase im Sommer. Zerstreuende Kräuter machen die Oberfläche frei, sind schweißtreibend, regen das Weiqi (dem westlichen Medizinsystem entprechend) an und beleben das Taiyang. Anwendungsbeispiele sind Erkältungen und Dermatosen (Hauterkrankungen).
Fallend bedeutet nach unten gerichtet und entspricht der Metallphase im Herbst. Fallende Kräuter wirken abführend, antiemetisch und harntreibend und senken aufsteigendes Yang und Lungen-Qi ab. Dementsprechend wurde übrigens ursprünglich Kaffee verwendet: als Antiasthmatikum auf Grund seiner absteigenden Wirkung. Weitere Anwendungsgebiete sind Migräne (anfallsweise, seitliche Kopfschmerzen), Cephalea (Kopfschmerzen), Hypertonie (hoher Blutdruck) und Nausea (Brechreiz).
Zusammenziehend entspricht dem Wasserelement im Winter. Die Bewegungsrichtung ist nach unten und nach innen gerichtet. Zusammenziehende Kräuter wirken befestigend, bewahrend, beschützend, die Schweißbildung hemmend und Hitze beseitigend. Verwenden kann man diese Kräuter bei Inkontinenz (Unfähigkeit, den Harn zu halten), Diarrhoe (Durchfall), zu starkem Schwitzen oder Bandscheibenvorfällen.
Dem Erdelement ist keine Wirkrichtung zugeordnet.
Der Bezug zu den klassischen inneren Organen
Dieses System hat sich in China erst im Lauf der Zeit entwickelt und wurde um das Jahr 1000 vollendet. Es werden bei Kräutern also nicht nur Geschmack, thermische Wirkung und Wirkrichtung beschrieben, sondern auch deren Leitbahnbezug. Die Leitbahnen (jingmai) stehen hier stellvertretend für die inneren Organe (zangfu). Manche Kräuter haben einen sehr starken Bezug zu einem Organ.
Unter „Botenkräutern“ versteht man Kräuter, die die Fähigkeit haben, die Wirkung anderer Kräuter zu einem bestimmten inneren Organ oder in eine Körperregion zu leiten. Tatsächlich haben Kräuter nicht nur einen Bezug zu einem bestimmten Organ, können also nicht nur für ein bestimmtes Organ verwendet werden, sondern immer zu Syndromen, da die Chinesische Medizin Funktionskreise, die sich auf weitere Elemente auswirken, behandelt.
Dosierung
Die richtige Dosierung der Kräuter ist eine der größten Künste der Chinesen. Traditionell wurde die Dosierung in den Werken über Rezepturen besprochen und war nicht Inhalt einer Materia Medica, weil viele Ärzte der Meinung waren, die Dosierung bestimmter Substanzen sei zu komplex, als dass man einen generellen Standard definieren könne. Trotzdem ein Versuch, ein paar generelle Richtlinien zu definieren. (Hier fehlen uns im Westen einfach 3000 Jahre Erfahrung – dementsprechend viel ist noch zu tun!)
Die normale Tagesdosis der meisten (nicht toxischen) Kräuter beträgt 3–6 Gramm. Es ist empfehlenswert, anfangs, solange noch die Erfahrung fehlt, mit einer geringen Dosis zu beginnen und mit wachsender Erfahrung die Dosis langsam zu steigern. Jeder ist aufgerufen, seinem Wissen und Gewissen nach zu dosieren. (In China werden normalerweise 10 bis 15 Gramm pro Kraut verschrieben.)
Harte, schwere Substanzen werden höher dosiert, wärend leicht toxische und stark aromatische Kräuter niedriger dosiert werden. Deswegen werden Wurzeln, Wurzelstöcke, Früchte und Rinden eher höher dosiert, Blüten und Blätter eher niedriger. Alte, schwache oder sehr junge Patienten sollten geringere Mengen verschrieben bekommen. Hier ist die Stärke des Magen-Qi von Bedeutung. Dieses ist für die Absorbierung und das Vertragen der Kräuter zuständig. Bei Patienten mit schwachem Magen-Qi sollte man nicht zu hoch dosieren. Oft empfiehlt sich hier, wie bereits erwähnt, die Kräuter in der Reissuppe einzunehmen.
Kräutertherapie bei Kindern:
Die Dosierung orientiert sich am Alter des Patienten: Bei Kindern unter sechs Jahren werden 1/4 bis 1/3 der Erwachsenendosis verschrieben. Bei sechs- bis zwölfjährigen Kindern wird die Hälfte der normalen Dosis verschrieben und bei Kindern über zwölf Jahren die Erwachsenendosis.
Ein Beispiel
Hier ein paar Tipps für die Behandlung kleiner Kinder:
- Dosis anpassen.
- Süße Kräuter wie Süßholz und Datteln sowie Honig in die Rezeptur geben.
- Die Kinder sollen den Dekokt gemischt mit ihrem Lieblingsgetränk (Apfelsaft, Karottensaft) trinken.
- Empfehlenswert ist es auch, eine Spur höher zu dosieren als eigentlich notwendig, dann ist es kein Problem, wenn nicht alles getrunken wird.
- Oft ist es hilfreich, Kindern die Kräuter zu zeigen und sie beim Kochen mithelfen zu lassen.
Bei akuten Erkrankungen wie beispielsweise Erkältungen und Blasenentzündungen sollten hohe Dosierungen (6–12 Gramm), bei chronischen Erkrankungen wie Rheuma niedrige Dosierungen (2–3 Gramm) verwendet werden.
Dauer der Anwendung
Was die Dauer der Anwendung betrifft, so hängt diese von der Diagnose ab. Die Kräuter können und sollen so lange gegeben werden, wie der behandelte energetische Zustand besteht.
Dr. Florian Ploberger, B. Ac., MA
Literaturempfehlungen:
Ploberger, F. (2016)
Die Grundlagen der Traditionellen Chinesischen Medizin, 2. Auflage, Schiedlberg: Bacopa.
2. Auflage 2008, 196 Seiten
Ploberger, F. (2016)
Westliche Kräuter aus Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin, 9. überarbeitete Auflage, Schiedlberg: Bacopa.
2. Auflage 2008, 196 Seiten
Dr. med. Florian Ploberger, B.Ac., MA, TCM-Arzt, Tibetologe, Fachbuchautor. Internationale universitäre und interdisziplinäre Lehrtätigkeit und zahlreiche Publikationen in den Themenbereichen Tibetische Medizin und TCM. Präsident der Österreichischen Ausbildungsgesellschaft für Traditionelle Chinesische Medizin (ÖAGTCM).
Mehrere Bücher veröffentlicht. (Schwerpunkte: Westliche Kräuter aus Sicht der TCM sowie Tibetische Medizin). Von der Direktion des Men-Tsee-Khang (Institut für Tibetische Medizin und Astrologie in Dharamsala, Nordindien) mit der Übersetzung der ersten beiden und des letzten Teils des bedeutendsten Werkes der Tibetischen Medizin (rgyud bzhi) beauftragt. Weitere Informationen finden Sie unter www.florianploberger.com