Von Birgit Bonin
Was bisher geschah:
Hier der Link zu Teil 1 der humorvollen Reise der Organe: Die Leber will verreisen (Teil 1)
Hier der Link zu Teil 2 der humorvollen Reise der Organe: Die Milz grübelt (Teil 2)
Hier der Link zu Teil 3 der humorvollen Reise der Organe: Die Lunge will endlich frei sein (Teil 3)
Hier der Link zu Teil 4 der humorvollen Reise der Organe: Der Dickdarm ist erleichtert (Teil 4)
Die Gallenblase geht einen neuen Weg…
Es war genau eine Stunde nach Mitternacht, als die kleine Gallenblase zu weinen begann. Stille, einsame Tränen weinte sie. Tränen der Verzweiflung, Tränen der Hoffnungslosigkeit und Tränen der Mutlosigkeit. Wie Perlen liefen sie an ihrem kleinen Leib herunter, Perlen von smaragdgrüner Farbe.
Tatsächlich wurde sie immer genau um diese Zeit wach. Denn jetzt begann ihre aktive Phase. Die anderen Organe schliefen. Alles war still. Still und ruhig in dem kleinen Raum, der ihnen allen zur ersten Nachtruhe diente. Der volle Mond warf ein paar zarte Strahlen durch das geöffnete Fenster, und einige kecke Nachtfalter vollführten tollkühne Saltos auf ihrem silbrigen Glanz.
Einsammeln, eindicken, zusammenziehen, rausschleudern, einsammeln, eindicken, zusammenziehen, rausschleudern, einsammeln… Sie war wieder da. Die Stimme. Die auf der Schallplatte. Der mit dem Sprung. Immer wieder sagte sie das Gleiche. Dabei war es, so fand die Gallenblase, nicht wirklich schlimm, dass sie es sagte, denn schließlich beschrieb sie nur ihre Tätigkeit, aber trotzdem…
Trotzdem war es so, dass immer, wenn die Gallenblase diese Stimme hörte, ein unsäglich unangenehmes Gefühl in ihr hochstieg. Ein Gefühl von absoluter Nutzlosigkeit. Und wenn sie dieses Gefühl dann so überrollte, dann fühlte sie sich noch kleiner, als sie es ohnehin schon war. Das kleinste Organ von allen. Ach, die Leber, die war so groß und so schön und hatte so unendlich viele wichtige Aufgaben! Und sie, die Gallenblase? Sie hing da einfach nur dran.
In diesem Augenblick bewegte sich die Leber und die Gallenblase verrutschte. Dabei gab es einen leichten Zug am Gallengang, der sie beide verband. Und nun spürte die Gallenblase auch wieder das andere, das, was sie auch schon seit geraumer Zeit sehr beschäftigte. Tief in ihrem Inneren stieß etwas zusammen. Mehrmals hintereinander. Es war schrecklich.
Dabei hatte alles so gut begonnen…
Sie waren endlich, zwar spät am Abend, dennoch voller Hoffnung und Freude gemeinsam mit den anderen Organen im „Restaurant für Innere Organe“ angekommen. Nach einem herzlichen Empfang gab es auch noch köstliche Speisen und Getränke. Alle fühlten sie so wohl. Aber nun hier in der Stille des Raumes zerplatzte die Hoffnung wieder und alle Zuversicht verschwand in einem Nebel der Traurigkeit und Mutlosigkeit.
Plötzlich war es der Gallenblase in dem großen luftigen Raum viel zu eng. Voller Sehnsucht blickte sie durch das geöffnete Fenster zum Sternenhimmel. Wenn sie doch wenigstens einmal nach draußen könnte, an die frische Luft unter diesem schönen klaren Sternenhimmel! Nur einmal ganz allein sein ohne die Leber und ohne den Dünndarm, der ständig nach neuen Verdauungssäften rief. Ständig! Ruhte der sich eigentlich nie aus?
Im nächsten Augenblick war es ganz still. Noch stiller als sonst. Auch die Schallplatte schwieg plötzlich. Und die kecken Nachtfalter schienen sich einen anderen Ort für ihre tollkühnen Abenteuer gesucht zu haben.
Plötzlich gab es eine winzige Änderung. Der Frieden, den die Gallenblase noch bis vor wenigen Augenblicken verspürt hatte, wurde jetzt durch eine neue, andere Schwingung bereichert. Gleichzeitig erfüllte ein starker Duft die Nacht. Ein vertrauter Duft, der wie tausenderlei Gewürzknospen direkt vor der kleinen Gallenblase einen schwungvollen Tanz aufführte.
Die Gallenblase
Und dann passierte es. Die Gallenblase war weg. Einfach weg! Und allein. Ohne die Leber. Wie war das möglich? Sie hing doch an der Leber! Die Gallenblase konnte es nicht fassen. Sie versuchte sich zu drehen, was ihr erstaunlicherweise leicht und spielend gelang. Die Leber war tatsächlich weg! Und wo war sie, die Gallenblase?
Und dann bemerkte sie es. Sie lag in einem Garten. Sie blickte zum Himmel. Sie blickte zu den Sternen. Über ihr wölbte sich nun wirklich und wahrhaftig wie ein riesengroßes Zelt der nächtliche Himmel mit tausenderlei blinkenden Sternen. Es war unfassbar schön! Die Gallenblase verharrte für einen wunderbaren Moment lang in der Betrachtung all dieser Sterne. Und mit einem Mal verspürte sie einen tiefen Frieden. Sie entspannte sich immer mehr. Erstaunlicherweise kam es ihr dabei plötzlich so vor, als würde sie wachsen. Weiter und weiter wuchs sie.
Immer war sie sich winzig klein vorgekommen. Immer. Die anderen Organe waren alle so groß und hatten so weitreichende Aufgaben. Besonders die Leber! Und sie? Die kleine Gallenblase? Wieder blickte sie zum Himmel. Und erneut hatte sie das Gefühl, sie würde wachsen. Wie kam das nur?
Der Gastgeber stand neben ihr…
und hielt in der Hand eine Pflanze, wie sie die Gallenblase noch nie gesehen hatte. Er fragte: „Na, machen Sie einen Ausflug?“ Das Gefühl von Freiheit und Abenteuer durchdrang plötzlich die Nachtluft. Etwas gänzlich Neues schien unvermittelt das ganze Universum der kleinen Gallenblase auszufüllen. „Ähm. Ja“, machte die Gallenblase. „ Ich war plötzlich weg.“
„Sie waren weg?“
„Ja, na ja, so ohne die Leber. Raus aus dem Schlafraum. Und dann liege ich mit einem Mal hier im Garten. Schwupp, da war ich.“
„Und wo ist die Leber?“
„Die ist wohl dort geblieben. Keine Ahnung. Wissen Sie, das war so. Ich wollte plötzlich so gerne mal allein sein, das war ich noch nie. Ich habe es mir so gewünscht, nicht immer an der Leber dranhängen und am Dünndarm!“
„Und warum wollten Sie so gerne allein sein?“
„Ich… ich war so verzweifelt.“
„Warum denn?“
„Die Stimme war wieder da“, brach es aus der Gallenblase hervor. Und ein paar smaragdgrüne Tränen fanden erneut ihren Weg in das grüne Gras des Gartens.
„Welche Stimme?“ fragte der Gastgeber.
„Die, die immer sagt: Einsammeln, eindicken, zusammenziehen, rausschleudern, einsammeln, eindicken, zusammenziehen, rausschleudern.“
„Und?“
„Ich bin so komplett unbedeutend!“ brach es aus der kleinen Gallenblase hervor. Sie war ziemlich laut geworden und die kleine Schar lustiger Nachfalter, die natürlich auch im Garten nachts ihren Unfug trieben, waren wieder da und erhoben sich zum einem mittelgroßen Tornado aus flatternden aufgescheuchten Gestalten. Die Gallenblase merkte es nicht.
Sie war über sich selbst erschrocken, und so schwieg sie jetzt mit angehaltener Luft.
„Ist das wirklichso?“, fragte ihr Gastgeber. Die Gallenblase schwieg immer noch. Nun kam sie sich plötzlich wieder so klein vor.
„Die Leber, die macht so großartige Sachen. Sie erfüllt so unzählige Aufgaben, und ich …?“
„Und Sie?“
„Wissen Sie“, brach es da erneut aus der Gallenblase hervor „das Komische ist, ich fühle mich immer so winzig mit den wenigen Aufgaben, die ich habe, aber hier unter diesem Sternenhimmel beginne ich plötzlich zu wachsen. Ich werde immer größer. Das ist etwas, was ich wirklich nicht verstehe.“
„Aber das ist die Wahrheit“, war die Antwort, „Sie dürfen sich nicht mit den anderen vergleichen. Sie sind einzigartig und lebensnotwendig für das ganze System.“
Die Gallenblase schwieg verblüfft. Sie war einzigartig? Und lebensnotwendig? Die ehedem noch kleine Gallenblase schaute ihren Gastgeber groß an. Der nickte nur. Dann fuhr er fort:
„Und nun wollen wir uns mal um Ihre Steine kümmern, oder?“
„Meine Steine?“
„Ja, das was in Ihnen immer zusammenstößt. Mit Hilfe dieser Pflanze“, sagte er und blickte auf das grüne Gewächs in seiner Hand. „Mit dieser Pflanze und anderen Kräutern, speziellen Säften und einer Individuellen Ernährung ist es möglich, Ihre Gallensteine zu erweichen und zu zerkleinern. Egal welche Zusammensetzung und Größe sie haben. Aber alle Organe müssen sehr stark dafür sein, damit die Ausscheidung gut verläuft und sich keine neuen Steine mehr bilden.“
Gab es Hoffnung?
Der Gastgeber machte eine kleine Pause und die große Gallenblase blickte zum mit Sternen übersäten Himmel. Gab es tatsächlich eine Hoffnung? „Wenn die Steine in Ihrem Innern klein genug sind“, fuhr er dann fort, „werden Sie über das Zusammenziehen und Rausschleudern die Steine nach und nach in den Dünndarm und von da aus in den Dickdarm abgeben können. Dann werden sie ausgeschieden. Das geht nicht von heute auf morgen, aber es geht.“
Es ging! Aber der Gastgeber ließ der Gallenblase keine Zeit zum Nachdenken. Mit einem funkelnden Glitzern in seinen Augen fuhr er auch schon fort: „Wie sieht es aus? Sind Sie dabei? Machen Sie mit?“
Es gab also tatsächlich Hoffnung! Ein starker Ruck durchfuhr die Gallenblase. Da lag der neue Weg!
„Ich bin dabei“, sagte sie. Und „Danke“, sagte sie. „Danke!“
Ihr Gastgeber lächelte. „Sie sind willkommen“, antwortete er.
Der Duft ließ nicht nach. Das Gefühl von Freiheit und Abenteuer blieb. Der Sternenhimmel blinkte und glitzerte. Ihr Gastgeber war verschwunden, aber Hoffnung und Zuversicht blieben. Und so kam es, dass die Gallenblase zum zweiten Mal in dieser ereignisreichen Nacht weinte. Diesmal aber waren es Tränen der reinen Freude und Erleichterung. Sie rannen herab und glitzernden dann im Grün des Grases bunt schillernd wie die aufsteigenden Farben des Regenbogens.
Birgit Bonin, Jahrgang 1958, hat in Köln Diplomsport studiert (Schwerpunkt Prävention und Rehabilitation), ist außerdem Heilpraktikerin und Beraterin für die Methode LifeTech, einem Verfahren zur täglichen Stressreduktion, zur Wiederherstellung und zum Erhalt von Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie selbständig in eigener Praxis. Birgit Bonin bietet Einzelarbeit an, aber auch Gruppenarbeit und Seminare, die sich den oben genannten verschiedenen Bereichen widmen. Ihr besonderes Interesse gilt der Realisierung aller erforderlichen Voraussetzungen, welche die persönliche Weiterentwicklung des Einzelnen ermöglichen.
Kontakt: Birgit Bonin, Fünfkirchener Straße 2, 63607 Wächtersbach
Mail:[email protected], http://www.heilkunst-birgitbonin.com