Teil 6 der Fortsetzungsgeschichte zur Verdauung: Der Magen..
Von Birgit Bonin
Was bisher geschah:
Hier der Link zu Teil 1 der humorvollen Reise der Organe: Die Leber will verreisen (Teil 1)
Hier der Link zu Teil 2 der humorvollen Reise der Organe: Die Milz grübelt (Teil 2)
Hier der Link zu Teil 3 der humorvollen Reise der Organe: Die Lunge will endlich frei sein (Teil 3)
Hier der Link zu Teil 4 der humorvollen Reise der Organe: Der Dickdarm ist erleichtert (Teil 4)
Hier der Link zu Teil 5 der humorvollen Reise der Organe: Die Gallenblase geht einen neuen Weg (Teil 5)
Der Magen hatte einen Koffer… (Teil 6)
Unter einer uralten Eiche, deren dicke knorrige Äste bis auf den Boden reichten, saß der Magen mit seinem Koffer. Der Magen hatte nämlich einen Koffer. Es war ein sehr großer Koffer, und viel passte hinein. Der Koffer sah auch ein wenig altertümlich aus, denn der Magen besaß ihn schon sehr lange. Tatsächlich wusste er gar nicht mehr, wie lange schon und wann alles begonnen hatte. Mit dem Koffer. Und mit ihm.
Seit vielen Jahren war es zu seiner Gewohnheit geworden, diesen Koffer täglich zu öffnen. Denn der Koffer barg alles, was dem Magen lieb und wichtig war, und was er glaubte besitzen zu müssen. Im Koffer befanden sich nämlich sämtliche Notizen und Aufzeichnungen, die der Magen jemals gemacht hatte. Der Magen studierte sie, ergänzte sie und fügte Neue hinzu. Aber niemals warf er welche weg. So kam es, dass der Koffer immer voller wurde. Denn der Magen bewahrte alles auf. Alles.
Doch was genau stand in diesen Notizen?
Sorgen, Kümmernisse und Probleme waren es. Probleme der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Alles war peinlich genau notiert. Probleme konnten immer wieder neue auftauchen. Da war es gut, vorbereitet zu sein und sich rechtzeitig Sorgen zu machen. Deshalb hatte der Magen auch zahlreiche Blätter gefüllt mit möglichen Problemlösestrategien für mögliche neue Probleme.
Jetzt saß er in den ganz frühen Morgenstunden im Garten unter dieser Eiche, weil er wieder einmal nicht schlafen konnte. Außerdem hatte er am vergangenen Tag ihrer Reise zum „Restaurant für Innere Organe“ seinen Koffer noch nicht geöffnet. Und das ging definitiv nicht. Er musste das tun. Er musste alles Notierte und Aufgezeichnete studieren. Jeden Tag. Mehrmals. Nun also lag der Koffer schon seit einiger Zeit geöffnet neben ihm.
Um ihn herum verteilt aber waren seine Notizen. Da drüben hatte er alles über den Reflux notiert. Das mit dem Reflux kam natürlich von der Speiseröhre. Die nämlich hatte behauptet, er könne seinen Mageneingang nicht mehr richtig schließen, so dass all der saure Speisebrei zurückfließen würde und nicht wie eigentlich geplant, weiter in den Dünndarm. Und das wäre ziemlich schmerzhaft. So hatte die Speiseröhre sich beklagt. Er könne seinen Mageneingang nicht mehr kontrollieren! Das war ja wohl lächerlich! Er hatte alles unter Kontrolle. Alles.
Und dort war die Notiz mit der Säure. Er wäre zu sauer. Hatte auch die Speiseröhre behauptet. Er wäre zu sauer! Er musste sauer sein! Wie sonst würden die ganzen schädlichen Bakterien, die über die Nahrung und die Getränke zu ihm kamen, zerstört werden. Außerdem brauchte er die Säure, um das Eiweiß verdauen zu können. Denn er war ja außerdem die allererste Stelle für die Eiweißverdauung. Die Speiseröhre hatte gut reden!
Allerdings, und das musste der Magen jetzt doch vor sich zugeben, in letzter Zeit war er zu sauer geworden. Er produzierte einfach zu viel Säure. Zum Schutz seiner Innenwände musste er jetzt vermehrt Schleim bilden, was auf die Dauer ganz schön anstrengend war. Müde und erschöpft fühlte er sich, aber nachts konnte er nicht schlafen. Dann holten ihn die Sorgen wieder ein. Der Magen studierte erneut nachdenklich seine Notizen. Irgendwie kam er nicht weiter. Immer wieder tauchte ein inneres Bild auf, und er konnte es einfach nicht verdrängen. Zuvor war er nämlich im Garten der Leber und der Gallenblase begegnet. Die saßen doch tatsächlich in vergnügter Zweisamkeit unter einem großen Apfelbaum. Und lachten. Die Früchte des Baumes schimmerten sanft vom Tau des Morgens, und die Leber hatte gerufen: „Wir naschen!“ Die naschten einfach! Und dann noch vor dem Frühstück! Das war nicht zu fassen.
Gleichzeitig aber rührte den Magen etwas zutiefst an, und eine starke Sehnsucht ergriff ihn. Wenn er doch auch wieder so lachend und entspannt sein Leben genießen könnte. Ja, das wollte er wirklich. Dann würde bestimmt auch dieses Gefühl von Schwere in seiner Mitte, dass sich anfühlte, wie ein sinkender Stein, endlich verschwinden. „Ich muss weiter“, hatte er gesagt und war wieder aufgebrochen. Was er dabei nicht mehr merkte, war, dass die eben noch lachende Leber plötzlich tief seufzte.
Ihr ist etwas aufgefallen …
„Er hat ihn immer noch.“ Die Gallenblase legte sich zustimmend etwas schräg.
„Wer hat wen immer noch?“ Der Dünndarm schob sich soeben meterweise um die naheliegende Ginsterhecke, was ihn eine Zeitlang in Anspruch nahm.
„Der Magen. Seinen Koffer.“ Das war wieder die Leber. „Oh nein, hört das denn nie auf?“ Wieder ein Seufzen. Unisono.
Von all dem hatte der Magen nichts mitbekommen. Aber während er noch weiter seine Notizen studierte auf dem Weg zu einer Lösung, bemerkte er jetzt plötzlich eine leichte Veränderung. Etwas durchdrang die mutlose, ja verzweifelte Stimmung, die in seinem Inneren schon eine Weile hartnäckig verweilte. Es war ein Duft. Ein ganz besonderer Duft, den der Magen sofort erkannte.
„Na, schreiben Sie ein Buch?“ Und natürlich stand neben ihm der Gastgeber.
Ein merkwürdiges Gefühl durchflutete den Magen. Aber er konnte es nicht einordnen. „Nein“, antwortete er, „das sind meine Aufzeichnungen.“ Mehr vermochte er nicht zu sagen.
Stattdessen blickte er auf den kleinen See, der vor ihm lag und mit seiner schimmernden Oberfläche etwas zutiefst Beruhigendes hatte, die ganze Zeit über schon. So wie auch der Duft , der den Gastgeber beständig umgab. „Und was sind das für Aufzeichnungen?“
„Das sind meine Sorgen und Probleme und wie ich sie gelöst habe oder lösen könnte oder gelöst haben könnte oder noch lösen würde oder …“ An dieser Stelle kam der Magen mit einem Mal nicht mehr weiter. Er spürte, wie eine unsägliche Verwirrung und Hilflosigkeit ihn erfüllte. Und da brach es plötzlich aus ihm heraus: „Ich bin an allem Schuld! Ständig produziere ich zu viel Säure, sagt die Speiseröhre, und sie hat schon Schmerzen von dem Reflux, und die Leber regt sich schon auf, wie sie das alles entgiften soll, und ich weiß nicht, was ich tun soll! Ich weiß noch nicht mal, warum ich zu viel Säure bilde, und wie ich das stoppen soll. Und ständig muss ich neuen Schleim bilden, um meine Wände zu schützen…“ Außer Atem brach der Magen wieder ab. Er konnte nicht mehr. Er konnte einfach nicht mehr.
Aber hatte er recht? War er wirklich an allem schuld?
Eine Weile war es ganz still. Der See lag immer noch ruhig da. Der Magen blickte darauf und hoffte, hoffte so sehr auf eine Antwort.
„Sie sind doch nicht schuld. Und Sie müssen auch nicht alle Probleme der Welt lösen.“
„Nicht? Ich meine, ich bin nicht Schuld daran? Ich habe soviel probiert, aber es geht nicht.“
„Nein, natürlich trägt Sie keine Schuld daran. Niemand trägt daran Schuld. Schauen Sie, Sie leben doch in enger Zusammenarbeit mit den anderen Organen und sind füreinander da, oder?
Der Magen machte ein zustimmendes Geräusch. Der Gastgeber fuhr fort: „Ist ein Organ schwach oder unwohl, so wirkt sich das immer auch auf das Befinden der anderen Organe aus. Tatsächlich haben Sie alle zurzeit keine gute Verfassung. Deswegen sind Sie ja hier. Ich nenne mal ein Beispiel. Das Herz schlägt zu schnell und zu stark, die Bauchspeicheldrüse beklagt sich über den hohen Blutzuckerspiegel, dass die ständige Insulinproduktion zur Senkung des Spiegels sie total erschöpfen würde, und Sie produzieren zu viel Säure, oder? Und woran liegt das? Nun, einer der Hauptgründe ist, dass die Nieren mit ihren Nebennieren ständig Stresshormone bilden. Warum sie das macht, wissen wir noch nicht, aber das führt neben anderem zu diesen Veränderungen.“
Der Magen war sprachlos. Er war es nicht Schuld? Überhaupt nicht? Ein ganz lange nicht mehr dagewesenes Gefühl der Erleichterung durchflutete ihn. Er blickte auf seinen Koffer. Dann konnte er die Aufzeichnungen über die Säure und den Reflux ja erst mal … ja, was denn eigentlich? Eine Welle des Zweifels durchfuhr ihn. Weggeben? Unvorstellbar! Irgendetwas weggeben? Nein, das ging nicht. Er hörte, wie der Gastgeber ihn lachend ansah. Merkte der eigentlich alles?
„Wenn Sie etwas nicht mehr brauchen, was tun Sie dann?“
Der Magen blickte auf seinen Koffer. Lange schaute er ihn an. „Was soll ich denn jetzt tun?“
„Das weiß ich nicht. Aber ich sage Ihnen jetzt mal, was ich tun werde. Ich stelle ihnen Speisen und Getränke zusammen, die ganz viele basische Mineralien enthalten. Tatsächlich gibt es einige spezielle Pflanzen und Kräuter, die sehr viele Mineralien aus der Erde aufgenommen haben. Gestern Abend haben wir mit dem Getränk schon angefangen. Es gibt auch einige Nahrungsmittel, die Ihnen viel Energie geben. Die Mineralien binden die Säure, sodass sie ausgeschieden werden kann, und Ihre Diät gibt Ihnen wieder Kraft. Außerdem aber muss ich mich natürlich um die Nieren kümmern und herausfinden, warum sie ständig zu viele Hormone bilden. Verstehen Sie, was ich meine?“
Der Magen nickte. „Und was soll ich jetzt tun?“ Die Frage kam erneut. Es war plötzlich ganz still geworden. Lange sagte der Gastgeber gar nichts. Dann hörte der Magen, wie er tief durchatmete.
„Versuchen Sie doch mal im Augenblick zu leben. Was zählt die Vergangenheit, und was wissen Sie von der Zukunft? Sie können voll Sorgen in die Zukunft blicken und Probleme sehen, die auftauchen könnten, Sie können aber ebenso gut Freude und Leichtigkeit erwarten. Es liegt an Ihnen.“
Dann kam ihm eine Idee…
Der Magen blickte wieder auf seinen Koffer. Und auf die Probleme, die Sorgen und die Lösestrategien von Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit. Kam er denn mit all dem weiter? Und plötzlich, ganz plötzlich fasste er einen Entschluss. Vorsichtig und liebevoll nahm er seinen Koffer, legte alles wieder sorgsam hinein, verschloss ihn und brachte ihn zum See. Kleine leichte Wellen trugen den Koffer zur Mitte des Sees. Und dort begann er langsam zu verschwinden. Ganz einfach zu verschwinden. Wie ein sinkender Stein. Der sinkende Stein aber, den der Magen immer tief in seiner Mitte gespürt hatte, der war plötzlich verschwunden. Und die Mitte fühlte sich leicht an.
Im Speisesaal aber, wo das Frühstück schon auf ihn wartete, brach unversehens ein Jubel los. Und der Magen wusste genau, warum die anderen Organe ihn anlachten. Der Koffer war weg, er war endlich weg!
Birgit Bonin, Jahrgang 1958, hat in Köln Diplomsport studiert (Schwerpunkt Prävention und Rehabilitation), ist außerdem Heilpraktikerin und Beraterin für die Methode LifeTech, einem Verfahren zur täglichen Stressreduktion, zur Wiederherstellung und zum Erhalt von Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie selbständig in eigener Praxis. Birgit Bonin bietet Einzelarbeit an, aber auch Gruppenarbeit und Seminare, die sich den oben genannten verschiedenen Bereichen widmen. Ihr besonderes Interesse gilt der Realisierung aller erforderlichen Voraussetzungen, welche die persönliche Weiterentwicklung des Einzelnen ermöglichen.
Kontakt: Birgit Bonin, Fünfkirchener Straße 2, 63607 Wächtersbach
Mail:[email protected], http://www.heilkunst-birgitbonin.com