Teil 7 der Fortsetzungsgeschichte zur Verdauung: Der Dünndarm..
Von Birgit Bonin
Was bisher geschah:
Hier der Link zu Teil 1 der humorvollen Reise der Organe: Die Leber will verreisen (Teil 1)
Hier der Link zu Teil 2 der humorvollen Reise der Organe: Die Milz grübelt (Teil 2)
Hier der Link zu Teil 3 der humorvollen Reise der Organe: Die Lunge will endlich frei sein (Teil 3)
Hier der Link zu Teil 4 der humorvollen Reise der Organe: Der Dickdarm ist erleichtert (Teil 4)
Hier der Link zu Teil 5 der humorvollen Reise der Organe: Die Gallenblase geht einen neuen Weg (Teil 5)
Hier der Link zu Teil 6 der humorvollen Reise der Organe: Der Magen hatte einen Koffer (Teil 6)
Lesen Sie hier eine vergnügliche Geschichte über den Dünndarm
Der Dünndarm möchte wieder tanzen
Der Dünndarm schlängelte sich und schlängelte sich und schlängelte sich. Hörte das denn nie auf? Nahm diese Reise denn nie ein Ende?! Da! Schon wieder eine Kurve. Das konnte doch wohl einfach nicht mehr wahr sein! Worauf hatte er sich da bloß eingelassen! Der alte Zorn flammte wieder in ihm auf. Die anderen Organe hatten es gut. Die mussten ja auch nicht Meter um Meter eines ihm mittlerweile unendlich lang erscheinenden Leibes durch die nächtliche Dunkelheit schleifen.
Der Dünndarm war erschöpft, total erschöpft. Hinzu kam, dass er sich schon seit sehr langer Zeit einfach nicht mehr gut bewegen konnte. Nicht nur seine Muskulatur war steif und hart geworden, auch sein Inneres erschien ihm zunehmend unbeweglicher, beinah, als ob seine Innenhaut zusammenkleben würde mitsamt ihren vielfältigen Falten und Zotten. Und das bei jeder Bewegung. Es war schrecklich! Sein sonst so geliebter Leib wurde ihm immer fremder und es gab Phasen, da lehnte er ihn regelrecht ab. Weil er nicht mehr funktionierte. Und das war wirklich schlimm!
Früher, ja früher, da hätte er über all das gelacht. Er hätte einen flotten Cha-Cha-Cha Rhythmus aufgelegt oder vielleicht sogar einen Jive, natürlich wäre ihm auch ein Wiener Walzer über diese lange Strecke dienlich gewesen oder ein Rumba, und dann wäre er behände um jedwede Kurve gefegt. Jawohl gefegt.
Der Dünndarm liebte es zu Tanzen! Alles war möglich, konnte er nur tanzen. Selbst die schwierigsten und sehr schwer zu verdauenden Speisen, wie Nudeln mit Käsesahnesoße oder Schweinebraten im Speckmantel oder Buttercremetorte mit fünf Schichten stellten für ihn überhaupt kein Problem dar, wenn er nur tanzen konnte. Klar, der Dickdarm hatte sich schon das ein oder andere Mal beschwert. Besonders beim Tango oder beim Salsa hatte er doch tatsächlich behauptet, das würde ihn in seiner Arbeit stören. Der Dünndarm würde dann immer an ihm rucken oder ihn schupsen, denn sie hingen ja schließlich aneinander.
Ha, der sollte doch mittanzen! Leider klappte das nie. Der Dickdarm war einfach zu lethargisch. Chillen, nannte er das oder Ultrakurzentspannung. Wahrscheinlich war das aber eher eine Megalangentspannung. Nicht nur wahrscheinlich, sondern mit Sicherheit! Zugeben würde der Dickdarm das natürlich nie. Niemals.
Aber all das half ihm im Augenblick überhaupt nicht weiter, denn da nahte schon die nächste Kurve.
Und er konnte nicht mehr tanzen! Er konnte es einfach nicht mehr. Selbst wenn er die einfachsten Melodien summte, sein Leib machte nicht mehr mit. Oh, er war so wütend darüber! Aber immerhin hatte er gelernt, dass der Ärger ihm auch nicht weiter half, denn das machte alles nur noch schlimmer. Dann nämlich brach ihm der Schweiß schon bei einem Feldsalat aus, und den Wiener Walzer konnte er schon im Ansatz vergessen.
Oh! Endlich! Sie waren angekommen. Den Dünndarm durchzog ein tiefer Seufzer. Was natürlich ziemlich lange dauerte. Da hing das Schild: „Restaurant für Innere Organe“. Und es öffnete sogar jemand die Tür, trotz der späten Stunde. Er stellte sich als ihr Gastgeber vor. Eine seltsame Gestalt war das. Aber etwas umströmte ihn, etwas ganz sanftes, leises, Klingendes. Wie eine vertraute Melodie aus vergangenen Tagen. Und irgendetwas im Dünndarm begann sich zu regen.
Es war das Spiel von Klang und Bewegung. Das Spiel von Rhythmus und Gesang des Körpers. Merkwürdig war das. Sehr merkwürdig. Erinnerungen durchfluteten ihn und in seinem müden Leib keimte plötzlich Hoffnung auf. Eine Hoffnung, die er schon glaubte, verloren zu haben.
In den nächsten Tagen zog es ihn immer wieder in den Garten. Er fühlte sich wie auf einer Suche, aber er konnte nichts finden. Auch hoffte er durch diese Wanderungen beweglicher werden zu können, aber der Erfolg wollte sich nicht einstellen. Immer wieder merkte der Dünndarm, dass er doch wieder begann zu kämpfen. Dann ermüdete er schnell, und die Verzweiflung nahm zu. Schließlich wagte er gar nicht mehr ans Tanzen zu denken.
Wie er dann an den großen, stillen See gelangt war, wusste der Dünndarm später nicht mehr. Der Magen hatte ihm davon erzählt. Begeistert erzählt. Und ihm mehrfach den Weg beschrieben. Aber bis jetzt hatte der Dünndarm ihn immer gemieden. Nun war er hier. Aber was sollte er hier?
Plötzlich durchzog eine sanfte Melodie die Stille. Und der Dünndarm wusste sofort, dass ihr Gastgeber neben ihm stand. Und lächelte. Aber er sagte nichts. Die Melodie nahm ein wenig zu. War das Wiener Walzer? Die vertraute Sehnsucht keimte wieder im Dünndarm auf.
„Wie geht es Ihnen?“ Die Frage kam unvermittelt. Der Dünndarm wusste keine Antwort. Er dachte ans Tanzen, und die Traurigkeit nahm zu. So schwieg er.
„Was wünschen Sie sich?“ Wieder hatte der Gastgeber eine Frage gestellt. Der Dünndarm wagte nicht es zu sagen. Was dann aber folgte, brachte ihn komplett aus dem Gleichgewicht. „Sie sollten sich einmal aufs Wasser legen. Wirklich.“ Das war wieder die Stimme seines Gastgebers.
Er sollte sich aufs Wasser legen? Einfach so aufs Wasser legen? Oh nein! Eine Welle von Empörung und Angst durchflutete plötzlich den Dünndarm. Er würde untergehen, mit Sicherheit würde er untergehen! Nicht genug, dass er jetzt täglich zum Frühstück Ananas und zu den anderen Mahlzeiten Kohl zu essen bekam, jawohl Kohl! Und das in allen möglichen Variationen. Roh, gekocht, weiß, rot, grün, aber immer Kohl. Natürlich gab es auch andere Speisen, aber Kohl war stets dabei. Und das schon seit drei Tagen! Allerdings, so musste der Dünndarm zugeben, schlecht fühlte er sich tatsächlich nicht damit. Im Gegenteil, innen drin in ihm schien es nicht mehr so sehr zu ziepen.
„Sie brauchen mehr Verdauungsenzyme“, hatte der Gastgeber zu ihm gesagt. „Ihre Leber und die Bauchspeicheldrüse bilden nicht genug davon. Daran müssen wir auch arbeiten, aber auch Sie selber haben zu wenig Produktion. Das erschwert die Verdauung gewaltig. Sie können nicht mehr alle Nährstoffe aufnehmen und die Nahrung wird nicht richtig zersetzt.“
Deswegen also gab es Kohl und frische Ananas. Also gut, wenn es half. Er konnte es ja schließlich auch spüren. Aber warum er sich nun auch noch auf diesen stillen See legen sollte, das entzog sich nun endgültig seinem Verständnis. Er würde untergehen, mit Sicherheit würde er untergehen! Und dann?
Tatsächlich hörte er in diesem Augenblick den Gastgeber leise lachen. Und wie immer klang dabei auch eine kleine Melodie mit, beinah wie ein feines Glöckchenspiel. Wie war das nur möglich? War das vielleicht ein Salsa? Ach, Salsa, sein Lieblingstanz. Der Dünndarm seufzte tief und schwer. Sein langer Leib vibrierte leise. Dann blickte er wieder auf diesen stillen See. Wäre er doch bloß nicht rausgegangen! Nun lag er da im Schein der aufgehenden Sonne und dachte doch wieder ans Tanzen.
„Eben.“ Sagte sein Gastgeber, und wieder lag eine Melodie in der Luft. Tango. Diesmal war es Tango. Eindeutig. Mist.
„Ich werde untergehen!“ rief er verzweifelt. „Der Koffer vom Magen ist auch untergegangen.“
„Der Koffer musste untergehen“, kam es zur Antwort, „Sie müssen leben.“
„Aber wie soll es denn gehen? Ich bin doch so lang und unbeweglich!“
„Muffensausen?“ Die Glöckchen schienen zu kichern. Ein bisschen wie beim Jive.
Muffensausen?! Er und Muffensausen? Eine Welle von Empörung durchflutete den Dünndarm. Und das in beträchtlicher Geschwindigkeit. Das war ja wohl die Oberkrönung! Einmal mehr! Unvermittelt kam Bewegung in den Dünndarm. Dem würde er es jetzt mal zeigen. Vergessen waren alle Zweifel! Der Dünndarm schob sich dem Wasser entgegen. Muffensausen! Er! Niemals!
Sein langer, gewundener Leib schlängelte sich Meter für Meter behände dem Wasser entgegen. Er glitt über das Ufer hinweg und schwang sich dann mit der nächsten kleinen Welle mitten auf den See hinaus. Da lag er dann. Plötzlich war es ganz still. Der Dünndarm bewegte sich nicht. Nichts bewegte sich. Nicht einmal der Wind und die Luft. Oder der See. Der Dünndarm aber ging nicht unter. Seine Angst war völlig unbegründet gewesen. Und tatsächlich hatte er sie auch in diesem Augenblick überwunden. Eine Welle von unendlicher Erleichterung durchfloss den Dünndarm.
Das Wasser trug ihn. Und es schien zu atmen. Wie ein eigener großartiger Leib. Ein seltsames Gefühl durchzog erneut den Dünndarm. Er dachte an den Magen und seinen Koffer. Und was er erzählt hatte. Und plötzlich konnte er loslassen. Plötzlich konnte er vertrauen.
Der Dünndarm wusste später nicht mehr, wieviel Zeit vergangen war, während er dort lag, umschmeichelt vom Wasser, getragen vom Wasser und beschützt vom Wasser.
Dann aber passierte es. Es passierte mit einer Selbstverständlichkeit, die alles Gewesene plötzlich vollständig vergessen machte. Die Melodie war zuerst da. Johann Strauß. Wiener Walzer. Dann begann die Bewegung. Sie begann im Wasser. Seltsam, dass das Wasser sich im Wiener Walzer bewegen konnte. Aber es tat es. Der Dünndarm wagte kaum zu atmen. Zum Glück atmete das Wasser für ihn. Und es bewegte ihn. Eh sich der Dünndarm versah, hob und senkte es seinen Leib und leitete ihn behutsam in die bezaubernden Schwingungen des Wiener Walzers.
Der Dünndarm tanzte. Das Wasser tanzte ihn. Oder tanzte er das Wasser? Oder tanzte er im Wasser? Es war nicht mehr zu erkennen, aber es war auch nicht mehr wichtig für den Dünndarm. Wichtig war einzig und allein diese unendliche Freude, die sich mit aller Macht und Kraft durch seinen langen und plötzlich überhaupt nicht mehr unbeweglichen Leib schob und ihn schlängelte, rüttelte, schüttelte, drehte und schwang, je nachdem welche Melodie plötzlich aus den unendlichen Tiefen des stillen Sees zu ihm kam und ihn im Rhythmus des Walzers, Jives, Slowfox, Cha-Cha-Cha, Salsa, Disco Fox, Rumba oder des über allem geliebten Tango erbeben lies.
Noch viele Jahre später, als er schon längst Dünndärme aller Generationen in die hohen Künste des Tanzens eingeführt hatte, verließ ihn nie das tiefe Gefühl der Dankbarkeit für diese Augenblicke auf dem See.
Seine Träume waren wahr geworden.
Textbearbeitung; Birgit Bonin, www.heilkunst-birgitbonin.com
Birgit Bonin, Jahrgang 1958, hat in Köln Diplomsport studiert (Schwerpunkt Prävention und Rehabilitation), ist außerdem Heilpraktikerin und Beraterin für die Methode LifeTech, einem Verfahren zur täglichen Stressreduktion, zur Wiederherstellung und zum Erhalt von Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie selbständig in eigener Praxis. Birgit Bonin bietet Einzelarbeit an, aber auch Gruppenarbeit und Seminare, die sich den oben genannten verschiedenen Bereichen widmen. Ihr besonderes Interesse gilt der Realisierung aller erforderlichen Voraussetzungen, welche die persönliche Weiterentwicklung des Einzelnen ermöglichen.
Kontakt: Birgit Bonin, Fünfkirchener Straße 2, 63607 Wächtersbach
Mail:[email protected], http://www.heilkunst-birgitbonin.com